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Interview mit Patrik Schumacher
Thomas Redl spricht mit Patrik Schumacher, Wien, 30.01.2014
Published in C-LIVE MAGAZINE Architektur/Raum/Kunst, Graz-Wien-Hamburg, Juni 2014

 

Thomas Redl: Welche Bedeutung hatte die Ausstellung „Deconstructivist Architecture“, die 1988 im MOMA in New York stattfand, für die Architekturentwicklung generell und für die Entwicklung des architektonischen Werks von Zaha Hadid im Speziellen?

Patrik Schumacher: Die Ausstellung fasst etwas zusammen, was es in der Entwicklung bereits gab, d.h. sie iniiziert nicht, es ist jedoch dennoch wichtig, dass ab und zu Begriffe in den Diskurs geworfen werden, die versuchen zu definieren, was vorgeht und was sich an aktuellen Tendenzen entwickelt, und so eine Beschleunigung an Entwicklung herstellt und Konvergenz von kreativen Kräften auf die Entwicklung. Das war ein wichtiger Moment, es war die Zeit der Postmoderne und der Versuch, Tendenzen zu sammeln, die eigentlich konträr dazu waren. Einer der Subtendenzen der Postmoderne war die Rückbesinnung auf historische Modelle, die latent in der Postmoderne vorhanden war. Dies war der Versuch, radikal dagegen zu stehen und für eine Abstraktion und Innovation mit wenig Rückschau, und wenn mit Rückschau, dann auf Radikaltendenzen der Frühmoderne und an diese anzuknüpfen im Sinne von radikaler Innovation. Es war eine relativ kleine Gruppe, es hätten auch mehr sein können, aber für diese Gruppe der Sieben war dies natürlich ein enormer Karriereschub. Ich habe Zaha Hadid zur Zeit dieser Ausstellung kennengelernt und sie beim Symposium „The Deconstructors“ an der TATE getroffen und mich dann dort beworben. Ich hatte die Arbeit mit Zaha Hadid schon vorgesehen und war interessiert, aber das hat dies noch untermauert. Ich war sehr ambitioniert und wollte bei dieser neuen, hippen Tendenz mitmachen.

TR: Die Gruppe der ausgestellten Architekten waren Frank O. Gehry, Peter Eisenmann, Bernard Tschumi, Coop Himmelb(l)au, Daniel Libeskind, Rem Kohlhaas und Zaha Hadid; und es war Jacques Derrida, der den Begriff des Dekonstruktivismus entwickelt hat.

PS: Jacques Derrida hat den Begriff der Dekonstruktion als Methodenbegriff einer philosophischen Kritiktechnik entwickelt. Peter Eisenmann und Bernard Tschumi als Vordenker in der Disziplin, die sich mit Philosophie beschäftigt hat, haben Derrida zur Zusammenarbeit eingeladen, weil sie inspiriert waren und Parallelen sahen. Aus dieser Zusammenarbeit heraus ist dieser Begriff entstanden, der aber ursprünglich von Joseph Giovannini stammt, jedenfalls erhebt er den Anspruch diesen Begriff entwickelt zu haben als Stilbegriff für die Architektur, dieser -ismus stammt so nicht von Derrida, sondern kommt aus dem Architekturdiskurs in Anlehnung an den philosophischen Begriff der Dekonstruktion.

TR: Wie weit hatten die russischen Konstruktivisten und auch der Suprematismus Einfluss auf diese Gruppe und auf Zaha Hadid. Sie spricht davon, dass sie versucht an diese Strömungen anzuschließen.

PS: Die Radikaltendenzen einer modernen Kunst und Architektur waren Einfluss gebend, der Suprematismus besonders für Zaha Hadid, aber auch für Rem Kohlhaas. Für Bernard Tschumi waren es mehr der Konstruktivismus und Jakob Tschernikow. Daniel Liebeskind hingegen hat sich mehr an Kubismus und Collagetechniken orientiert. Nah verwandt aber waren alle in ihrer Suche nach radikal neuen Konzepten, die mehr Intensität, Dynamik und Komplexität beinhalten als die Konzepte der klassischen Moderne. Es fand eine Rückbesinnung auf die in den 1920er Jahren entstandenen Tendenzen, die sich in den 1930er, 40er und 50er Jahren nicht durchgesetzt haben, wie z.B. der Konstruktivismus und Suprematismus, oder in der Kunst Kubismus.

TR: Fast 20 Jahre danach fand die Einzelausstellung von Zaha Hadid im Guggenheim-Museum New York statt, der zweite international wesentliche Meilenstein in der Repräsentation ihrer Architektur. Welche Auswirkungen hatte diese Ausstellung und wie beeinflusste und förderte sie die Auftragslage des Büros Zaha Hadids?

PS: Der entscheidende Schritt für die Auftragslage und öffentliche Wahrnehmung von Zaha Hadid ergibt sich aus zwei Komponenten, zum Einen kam Ende der 1990er Jahre nach 15 Jahren radikaler Entwurfsforschung der Durchbruch mit einigen Wettbewerbsgewinnen: Cincinnatti, Wolfsburg, Rom. Die Fertigstellung des Lois & Richard Rosenthal Center for Contemporary Art in Cincinnatti gab den Ausschlag für den Pritzker-Preis, das war ein entscheidender Meilenstein für Zaha Hadid; darauf aufbauend kam die Guggenheim-Ausstellung, die noch Einiges an Renommee und Profil geschaffen und hat dazu beigetragen dem Werk von Zaha Hadid zum Durchbruch zu verhelfen. Wir sind sehr stark gewachsen mit vielen Projekte. Es war auch ein bisschen ein Zeitgeist, der dahinter stand, ein Optimismus, eine Aufbruchstimmung, eine Boom-Zeit. Auch Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao hat dazu beigetragen, die Idee von komplexeren und spektakuläreren Bauten durchzusetzen.

TR: Coop Himmelb(l)au hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht und ist auch in der internationalen Architekturszene angekommen. Es gibt also einen Zeitpunkt, wo die Auftraggeber die Bereitschaft und den Mut für die Beauftragung solcher Projekte entwickelt haben.

PS: Es dauert immer eine Weile. Die Dekonstruktivismus-Ausstellung war der Ursprung, die ursprüngliche Markierung dieser Tendenz und der Karrieren. Entscheidend ist auch, welche Figuren sich im nächsten Zyklus durchsetzen. Das Ergebnis dessen ist dann so etwas wie der Pritzker-Preis, die Guggenheim-Ausstellung und damit die Potenzierung der Präsenz. Inzwischen kann man sagen, dass Zaha Hadid Architects und Zaha Hadid, was die Prominenz anbelangt, wenn man z.B. mit Google-Referenzen misst, mit großem Abstand das populärste Architekturbüro der Welt ist und dann kommt, relativ weit abgeschlagen, Frank Gehry und andere wie Herzog de Meuron.

GENESE DER BAUTEN


TR: Der erste Bau von Zaha Hadid in Europa, das Feuerwehrhaus für Vitra in Weil am Rhein, ist eine Landmark für diese neuen Architekturformen. Wie entwickelte sich das Zaha Hadid Büro und was waren die wichtigsten Bauten, die realisiert wurden?

PS: Nach Vitra gab es längere Zeit nur wenige Projekte, ein kleineres Ausstellungsgebäude, die Landesgartenschau, ebenfalls in Weil am Rhein. Aber sonst tat sich fast die ganze Dekade nicht viel. Ende der 1990er Jahre kam das Museum für zeitgenössische Kunst in Cincinnatti, das Phaeno Wissenschaftszentrum in Wolfsburg und MAXXI, das Nationalmuseum für die Kunst und Architektur des XXI. Jahrhunderts in Rom, und das war vielleicht der Höhepunkt, der entscheidende Durchbruch, um in die Top-Liga der internationalen Architekten zu kommen. Seitdem sind einige weitere Meilensteine entstanden, z.B. das Opernhaus in Guangzhou in China, das Aquatics Centre - das olympische Schwimmbad in London und das Galaxy Soho in Peking. Derzeit haben wir etwa 50-60 Projekte in Planung, 10-15 offene Baustellen, weitere bereits fertiggestellte Museen und inzwischen bauen wir auch Hochhäuser, größere Gebäudekomplexe und sind im Städtebau tätig. Wir sind sehr breit aufgefächtert. Aber den Durchbruch stellt das Jahr 2000 mit den Museumsbauten dar.

TR: Mit dieser Entwicklung hat auch das Büro stark expandiert. Es beschäftigt mittlerweile mehrere hundert Mitarbeiter.

PS: Wir sind mittlerweile etwa 450 Mitarbeiter, was ungewöhnlich groß ist für ein Büro mit einer artistisch inspirierten Führerschaft. Es ist das einzige Architekturbüro mit einer künstlerischen Führung in dieser Größenordnung. Ein ganz anderer Architekt im Sinne eines Baukünstlers, der noch größer ist, ist Norman Foster. Unter den 100 größten Firmen der Welt gibt es keinen weiteren Protagonisten. Wir sind nach Foster das größte künstlerisch motivierte Baubüro der Welt.

TR: Die Netzwerke und das Teamworking spielen in einer so großen Organisation eine entscheidende Rolle. Wie ist das Büro diesbezüglich strukturiert?

PS: Wir haben ein sehr offenes Netzwerk von Mitarbeitern mit flachen Hierarchien. Wir sind sehr junge Teams, die meisten führenden Mitarbeiter sind ehemalige Studenten. Es gibt ein enges persönliches Verhältnis und ein sehr enges inspiratives Milieu, in dem sich unsere Mitarbeiter bewegen. Wir erwarten hohe Eigeninitiative und Kreativität von unseren Mitarbeiter, gewähren dafür auch große künstlerische Freiheit. Umgekehrt sind aber auch die Prinzipien und Wertekriterien wichtig, von denen unsere Arbeit geleitet wird und die wir alle gemeinsam in der Zusammenarbeit tragen.

TR: Es handelt sich also nicht um ein Heer von Zeichnern, die ausschließlich für die Ausführungsplanung am Computer sitzen und arbeiten.

PS: Nein, es ist ein kreatives Milieu, es wird sehr viel experimentiert. Es bestehen gewisse ästhetische Kriterien, verschiedene Methoden und Entwurfstechniken, die uns zusammenbinden und es gibt auch immer wieder neue Ansprüche für die Weiterentwicklung. Es sind so etwas wie interne Parolen oder paradigmatische Projekte, die ihren Einfluss auf alle Mitarbeiter ausüben. Das womit wir, Zaha Hadid und meine Person, uns beschäftigen, führt dann auch zu parallelen und kreativen Prozessen an vielen Stellen. Oft wird dies in akademischen Kontexten zuerst erarbeitet, z.B. an der Angewandten in Wien oder an der Architectural Association School of Architecture in London, kurz AA, wo ich seit 16 Jahren unterrichte.

TR: Wieviele Bürositze gibt es derzeit?

PS: Der Hauptsitz ist in London, weiters haben wir ein Büro in Hamburg und Büros Peking und Hongkong, da wir einige Projekte in China, Singapur, Hongkong, Korea, Malaysien, Indonesien haben.

ARCHITEKTURTHEORIE

TR: Sie haben eine eigene Architekturtheorie entwickelt und den Begriff Parametrismus eingeführt. Können sie den Begriff kurz erläutern?


PS: Es gibt zwei Stufen der Definition, zunächst die konstruktionelle Definition: Parametrismus basiert auf dem Begriff der Parameter, verstanden als Variablen. Die Idee ist, dass alle Elemente einer architektonischen Komposition mit Variablen ausgestattet sind, die diese Elemente plastisch, verwandelbar und anpassbar werden lassen, sodass sie sich aufeinander beziehen können und sich aneinander anverwandelnd durch und für einander verformen, überformen und sich flexibel an Kontextsituationen anpassen können und dadurch gegenüber einer Komposition mit rigiden geometrischen Figuren, die vorgefasst sind, zu fluiden Kompositionen mit über Parameter plastisch gewordenen Elementen werden können.
Das Zweite ist die operationialisierende Definition. Hier formuliere ich Prinzipien und Kriterien, nach denen mit computergestützten Prozessen diese Objekte angelegt werden als Genotypen mit Variablen und sich zu Systemen multiplizieren, mit der Vorgabe, dass diese Systeme differenziert sein müssen, mit Gradienten zu einem differenzierten Feld im Kontrast zu dem modernistischen, monotonen Serienfeld, und dass weiters diese differenzierten Felder Subsysteme werden in einem komplexerem Multisystem-Aufbau und über assoziative Logiken miteinander korellieren. Der Begriff der Differenzierung führt zum Begriff der Korrelation von mehreren differenzierten Subsystemen, die nicht indifferent sind und die kollagiert werden sollen, die von einander abhängig sind und sich aufeinander beziehen. Das ist die entscheidende Operationsweise des Parametrismus. Das führt dazu, dass die verschiedenen Räume und Teile einer Komposition miteinander kommunizieren, zueinander passen und sich kontextsensitiv in ein Umfeld einpassen. Es ist eine Art a priori des Parametrismus, dass es um Einbettung, Anverwandlung in gegebene Kontexte geht und nicht um das Aufoktruieren einer vorgefassten Form in einen Kontext.

TR: Sie sprechen im Parametrismus von der Ablösung der Formensprache, die das 20. Jahrhundert stark geprägt hat, u.a. der Bauhaus-Sprache, und von der Ablösung vom Fordismus, der die stereotype Form als Raster im großen Maßstab eingesetzt hat, wie dies z.B. auch in den Stadtentwürfen von Le Corbusier ersichtlich ist.

PS: Für mich ist der Hauptkontrast der, ich rede von epochalen Stilen, das ist der Modernismus des 20. Jahrhunderts, der das architektonische Abbild oder Korrelat des Fordismus als Gesellschaftsidee darstellt. Ich rede heute von einem Parametrismus als einen neuen epochalen Stil des 21. Jahrhunderts, der nicht die Vorgaben des Fordismus, sondern der postfordistischen Netzwerkgesellschaft umsetzt, in der es um eine Verdichtung von Beziehungen geht, nicht mehr um das Aussortieren von unterschiedlichen Lebensbereichen in separate Stereotypen, die dann nur repetiert werden – das war die Stadt der Moderne – sondern es geht um die Ausdifferenzierung einer Vielgestalt von Lebensbereichen, die aber miteinander zu vernetzen und aufeinander zu beziehen sind – das liefert der Parametrismus. In dem Übergang vom Modernismus zum Parametrismus gibt es transitorische Stilentwicklungen, die andeuten, dass man weg von dieser Monotonie geht und die Architektursprache anreichern möchte mit Elementen und Komplexität, das ist der Postmodernismus, der sich dann entwickelt in den Dekonstruktivismus. Das sind Zwischenstufen auf dem Weg zum Parametrismus. Der Parametrismus nimmt die Ideen von Komplexität, Vielgestaltigkeit und auch Konfliktbereitschaft in dem Zusammenkommen von Vielem des Dekonstruktivismus auf, geht aber nicht davon aus, dass es hier nur um Kollision und Collage, um ein Ineinandergreifen von Bedingungen geht, sondern er versucht, dies aufzulösen und in eine neue komplexe Ordnung zu überführen, diese dadurch lesbar und nachvollziehbar zu gestalten, die Komplexität fassbar zu machen und zu orten. Während sie im Dekonstruktivismus nur in einem Rohzustand agglomeriert, gibt es im Parametrismus die Durcharbeitung, Klärung und das Transparentmachen von Komplexität. Deshalb glaube ich, dass der Dekonstruktivismus nur eine Zwischenstufe war, er hat auch nur etwa zehn Jahre gewirkt, bevor sich aus ihm heraus der Parametrismus entwickelt hat, der sich weitergreifender und umfassender durchgesetzt hat und sich viel stärker generalisieren lässt. Der Dekonstruktivismus hat ein Problem gestellt, eine Polemik geliefert, die Umsetzung der Potenzen und Durcharbeitung der Probleme finden im Parametrismus statt.

TR: Welche zeitgenössischen Architekten würden sie dieser neuen Begrifffindung zuordnen.

PS: Es gibt eine ganze Generation von Architekten, die in dieser Art und Weise arbeiten und mitziehen. Zaha Hadid Architects ist das führende Büro, das hier in größerem Maßstab auf internationaler Ebene arbeitet, aber es gibt viele andere die mitarbeiten und genauso kreativ am Entstehungsprozess des Parametrismus mitgewirkt haben. Das sind Leute, die jetzt Architektur an den Schulen lehren wie Greg Lynn, Hani Rashid mit Asymptote Architecture oder Ali Rahim und Contemporary Architecture Practise aus New York. Coop Himmelb(l)au mit Wolf Prix haben sich auch in diese Richtung entwickelt. Frank Gehry hat sich, vielleicht weniger algorythmisch basiert, aber in seinen künstlerischen Tendenzen auch aus dem dem Dekonstruktivismus in den Parametrismus hinein entwickelt. Es gibt eine Konvergenz. Man sieht selbst bei Norman Foster bei einigen Arbeiten, in einigen Subteams diese Tendenzen. Es gibt sehr viele jüngere Architekten und Architekturbüros, die noch nicht den Durchbruch erreicht haben, aber es ist ein weltweites Phänomen, nicht nur in Europa, den USA und Nordamerika, sondern auch in Asien, im Mittleren Osten und in Lateinamerika. In Osteuropa kenne ich persönlich viele junge Architekten und Designer, die in dieser Stilrichtung mitarbeiten. Ich arbeite an einer großen neuen Ausstellung für 2015 in London, um zu zeigen, wie umfassend und durchschlagend diese Architekturbewegung inzwischen geworden ist.

TR: Sehen sie generell einen Paradigmenwechsel in der Architektur und wenn ja, könnte dieser Paradigmenwechsel die hierarchisch geometrische Architektur, die streng genommen seit der europäischen Antike herrscht – also nicht nur seit dem Modernismus, sondern auch im Klassizismus und anderen Epochen –, ablösen hin zu einer neuen nonhierarischen, dynamisch-fließenden Architektursprache?

PS: Das ist sehr gut formuliert. Und der Begriff des Paradigmenwechsel ist wichtig, denn der Umbruch, den wir jetzt sehen, ist einschneidender und radikaler als vorherige Stilumbrüche. Wenn man in der Rückschau diesen Umbruch vergleicht mit der Architekturentwicklung von mehreren hundert Jahren seit der Renaissance, merkt man, dass hier etwas sehr radikales passiert und das hat natürlich zu tun mit den radikal neuen Entwurfsmethoden und Fabrikationstechniken, die über die Mikroelektronik und durch computergestützte Entwurfsprozesse möglich geworden sind, wo wir viel enger mit komplexen Organisations- und Formationsprinzipien arbeiten, ähnlich wie Formen in der Natur aus dem Naturgesetzlichen entstehen; sozusagen Morphologien, die aus komplexen Gesetzmäßigkeiten ineinandergreifen und resultieren. Diese Art von Prozessen entwickeln wir auf Computerbasis. Deshalb dieser Paradigmenwechsel, der zum Einen etwas liefert, was vielleicht schon immer ein Traum von Architektur war, sich an der Natur zu orientieren – aber nur methodologisch und analogisch – und sich in Wirklichkeit orientiert an den gesellschaftlichen Prozessen und an der Notwendigkeit, Kommunikation zu intensivieren in städtischen Ballungsräumen. Da kommt es zu tragen, dass wir Komplexität artikulieren können in verdichteten Situationen mit diesen fluiden dynamischen Architekturen. Das ist wirklich ein Paradigmenwechsel, wie Sie sagen.

TR: Ich möchte noch auf einen gesellschaftspolitischen Aspekt der Architektur eingehen. Die hierarchisch traditionelle Repräsentationsarchitektur war immer eine Darstellung der politischen Macht, wie man es zum Beispiel im Absolutismus an den Bauten von Schloss Schönbrunn oder Versailles sehr gut ablesen kann. Wenn nun die Architektursprache wechselt, entsteht damit auch ein Paradigmenwechsel, der weggeht von der Repräsentation absolutistischer und hierarchischer Systeme hin zur Darstellung neuer dynamischer Systeme unserer heutigen Gesellschaft? Und kann die Architektur diese Prozesse mitbeeinflussen, mitgestalten und mitprägen?

PS: Auf jeden Fall. Die Architektur, die wir entwickeln, gestaltet oft den öffentlichen Raum und die Arbeitswelten, die Durchdringung von Wohn-, Geschäfts- und Arbeitsbereichen. Sie liefert ein anschauliches Abbild von gesellschaftlichen Dynamiken und zeigt die multizentrische Städtestruktur, die Simultanität von verschiedenen Angeboten von Interaktion, wo verschiedene Publika zusammenkommen und sich teilweise in ihren Ansprüchen überlappen. Das ist ein neues Gesellschaftsbild, das sich stark verändert hat gegenüber dem des 18. Jahrhunderts, das sehr stark stratifiziert, aber auch gegenüber einem Gesellschaftsmodell der Moderne, das mit sozialistischen Tendenzen kohärent ging im Sinne einer Universalisierung von Lebensstandards und Prozessen, einer Uniformierung zusammen mit den mechanischen Reproduktionsmechanismen des Fordismus. Man hat einen Lebensstandard erreicht, aber nur zu einem bestimmten Preis, wenn man homogenisiert. In der Jetztzeit kann man aber wieder differenzieren, ohne diese enormen Kosten einer handwerklichen Spezialisierung herbeizuführen. Man kann über reprogrammierbare Produktionsprozesse und computergestützte Entwurfsprozesse in schnellen Zyklen Spektrum, und nicht nur Masse, erzeugen und eine ausdifferenzierte Produktwelt und eine Welt von verschiedenen Erfahrungen, Bereichen, Lebensstandards, Lebensprozessen entwickeln. Die verschiedenen Publika, die in der globalisierten Welt entstehen und die in Metropolen zusammenkommen, haben sehr unterschiedliche Lebensrythmen, weil die Arbeitsteilung, die Vielfalt und Dynamik von Karrieremöglichkeiten so vielfältig ist, wogegen im Modernismus noch sehr viel standardisiert wurde. Die Proliferation von Unterschiedlichkeiten bildet sich in der Physiognomie der Stadt ab und wurde von einer Architekturtendenz aufgegriffen, die dem sensibel gegenüber ist und in eine Ästhetik und Arbeitsweise überführt, die uns als neue Stilrichtung entgegentritt, die kongenial mit diesen Prozessen ist und zu ihrem Abbild wird, aber nicht nur zu ihrem Abbild, sondern zur Repräsentation von Gesellschaft, die als Selbstbeschreibung ein besseres Funktionieren der Gesellschaft unterstützt, weil man sich und seine Gesprächspartner in so einem Stadtbild wiederfindet.

TR: Viele sprechen davon, dass große Teile unserer Zivilisation immer mehr in Megacities leben werden. Das ergibt ein großes Thema, eine große Aufgabenstellung für die aktuelle und kommende Architektur. Ist der Parametrismus hier anwendbar im Sinne einer neuen urbanen Geometrie und Logik, im Sinne einer architektonischen Topographie für die sich neu stellenden Komplexitäten, die bis jetzt in dieser Weise noch nicht da waren?

PS: Das haben Sie sehr scharfsichtig auf den Punkt gebracht. Genau da sehe ich den Kontext, die Herausforderung, in Megacities mit einem höheren Komplexitäts- und Verdichtungsgrad bei gleichzeitiger Notwendigkeit Orientierung, Lesbarkeit, Navigation zu ermöglichen, um nicht ein so verdichtetes Konglomerat in einem visuellen Chaos zerfallen zu lassen, was dann disfunktional wäre. Denn wir leben nicht nur in Megacities, sondern wir sind auch freigesetzt und nicht mehr an unseren Arbeitstisch gebunden, sondern mit unseren mobilen Laptops und Phones freigesetzt im urbanen Raum. Umso mehr können wir die Metropole als soziales 360°, dreidimensionales Kommunikationsinterface, durchstreifen, um neue Inspirationen, Stimulanzen, Gesprächspartner und Eindrücke zu gewinnen, die wir ständig brauchen, um uns immer neu zu vernetzen und mit Relavanz aufzuladen für das, was wir am nächsten Tag, in der nächsten Woche beitragen zu dem System. In der Netzgesellschaft sind alle unterwegs, um möglichst Vieles mitzubekommen von dem, was andere machen, um immer wieder neu zu rekalibrieren, was man selber macht. Das geht nicht, wenn man immer nur im stillen Kämmerlein zu Hause sitzt und sich ein Projekt ausdenkt, sondern man muss in ständiger Kommunikation und Vernetzung bleiben. Das sind Arbeitswelten, aber das sind auch ständig neue Inputs und Stimulanzen, deshalb ist der, der nicht in diesen Megacities lebt und „noch in der Provinz steckt“, unter Umständen weniger produktiv, vielleicht weil weniger upgedatet. Natürlich helfen die Massenmedien Fernsehen und Internet, aber ich merke immer wieder, dass ich in einem direkten Interaktionskontext viel mehr mitbekomme und dann am Abend diese Anstöße im Internet nachvollziehe, besser als isoliert im Internet hinter irgendwelchen Links zu verschwinden.

TR: Aber es besteht auch die Gefahr, dass wir eine Hyperverdichtung, einen Overflow an Informationen erleben, dies passiert ja gerade in den sozialen Netzwerken und in Form von Datenstaus. Wie weit kann diese Verdichtung fortgesetzt werden und wieviel Freiraum braucht das einzelne Individuum, oder auf dem Feld der Architektur ausgedrückt, wieviele Individual- und Informationsfreiräume sind notwendig in den extrem verdichteten Strukturen von Megacities.

WU CAMPUS WIEN

PS: Ich meine die Informationsdichte, die aufbereitet, geordnet und strukturiert ist. Am Beispiel unseres Gebäudes am WU Campus ist das die Lesbarkeit der Struktur, die Hierarchie von Räumen und Unterräumen, aber auch immer wieder diese Simultanität von Angebot wie zum Beispiel bei dem Atrium, in das ich einsteige, aber bevor ich eingetreten bin, habe ich die Hierarchien schon wahrgenommen, wo der Leseraum, wo die Hauptelemente sind und dann Räume in trete, wo ich unter mir, über mir, in alle Richtungen, in Tiefen gestaffelt Interaktionsangebote wahrnehme, diese sind geordnet und strukturiert. Es entwickeln sich nochmals mehrere Untersimultanräume dieser Atrien und dieser Schluchten. Mit jedem Schritt, den ich neu setze, treten neue Bilder und Dinge in den Blick. Wir befinden uns nicht in abgeschlossenen Räumen, in denen jede Bewegung nichts Neues bietet, solange ich mich in diesem Raum befinde. Dies aber sind offene, poröse Räume, die immer Durchbrüche haben und Durchblicke gewähren. Medien wie natürliches Licht und Materialdiffernzierungen sind so struktuiert, dass sie Orientierungshilfen sind, um die Komplexität navigierbar zu machen. Der WU Campus und vor allem unser Learning Center ist eine Instanz dieser räumlichen Vernetzung von Interaktion und gleichzeitig ein prägnantes Abbild. Aber es ist nicht ein Abbild, das symbolisch funktioniert, sondern ein Abbild einer Netzwerkgesellschaft, die tatsächlich vor sich geht und plastisch wird.

TR
: Ich halte den neuen WU Campus Wien für ein sehr gelungenes städtebauliches Projekt. Signifikant für mich ist das funktionierende Wechselspiel zwischen verbautem und unverbautem Raum, die Boulevards, die dadurch entstehen, die Freiräume, die von den Benutzern selbst bespielt werden können und parallel das gleichzeitige Funktionieren verschiedener Architektursprachen auf einem Campus.

PS: Das ist sehr spannend und unser Gebäude ist ein Ort der Verdichtung und Auffächerung von Kommunikationsangeboten, es ist auch das zentrale Studentenzentrum und die Zentralbibliothek. Aber auch der Rückbezug nach Außen ist wichtig, es gibt immer wieder den Aus- und Durchblick, die Reorientierung in Bezug auf den Gesamtcampus. Auch wenn man sich im Inneren des Gebäudes befindet gibt es immer Durch- und Ausblicke auf den Prater, auf die Nachbargebäude und den Blick auf den Vorplatz. Und es gibt weitere Orientierungshilfen – es gibt die Schrägstellung der Wände und die Bewegung, die Dynamisierung dieser Räume führen einerseits zum psychologischen Moment des Sich-Durchziehen-Lassen-Wollens, zum Anderen ist dies auch ein Informationselement, das mir auch in der Tiefe des Gebäudes immer wieder zeigt, in welcher Richtung sich Eingang, Vorplatz, Hauptatrium befindet. Wenn ich gegen die Neigung laufe, bewege ich mich in die Tiefe des Gebäudes, mit der Neigung laufe ich in die Zentralbereiche. Solche Orienterungshilfen sind wichtig, es ist eine Art von Semiotik der Geometrie. Wir haben auch eine Semiotik der Farbe und Textur, eine Semiotik der Fensterformation, des Tiefeneinschnitts, der horizontale und öffentliche Schnitte und Räume darstellt. Das sind Gesetzmäßigkeiten in diesem Gebäudekomplex, der so groß ist, das er nicht automatisch übersichtlich und navigierbar ist, sodass wir diese Orientierungs-, Navigations- und Informationsanreicherung systematisch einbauen mussten und wollten in das Gebäude, das sonst durch die Komplexität labyrinthartigen Charakter angenommen hätte.

TR: Könnte man dies als zentralen Entwurfsgedanken bezeichnen, diese Art semiotische Strukturierung?

PS: Absolut, das ist der Zentralgedanke, der bereits damit anfängt, dass wir zwei Institutionen, die ineinander greifen mit Hell- und Dunkelgrau, fast Schwarz, abzeichnen und ineinander greifen lassen. Wenn man dieses Ineinandergreifen will, wird umgekehrt das Auseinanderhalten zum Problem. Bei sehr einfachen Kompositionen, wo ich sagen kann, links ist hüh und rechts ist hot, brauche ich diese Zusatzorientierungshilfen weniger. Da wir aber die Dinge verflechten, ineinander greifen und einander durchdringen lassen wollen, brauchen wir diese semiotische Vorgehensweise, um die Identität kognitiv aufzulösen.

TR: Ein wesentliches Element im Library and Learning Center ist der große Lesesaal, der sich zentral zur Grünfläche des Praters öffnet. Benutzertechnisch gelesen, habe ich einerseits die Information meines Buches und gleichzeitig den Einfluss des Lichts und der Grünfäche des Außens.

PS: Und wie die Orientierung, ich kann hinunter schauen auf den Platz und sehe Kommen und Gehen, braut sich da was zusammen, stürmen Leute raus, habe ich was verpasst oder kann ich an etwas teilnehmen. Das ist das Entscheidende, dass ich mich lokal konzentriere auf das, was ich tue, dass ich jedoch in den Augenwinkeln alle gleichzeitig stattfindendenden Prozesse mit im Blickfeld habe oder zumindest mit verspüre. Ich muss vernetzt bleiben, ich kann nicht abschalten, mich verstecken und mich nur auf das Buch konzentrieren für die nächsten paar Stunden. Das kann ich zu Hause. Ich will vielleicht noch an einer Vorlesung, einem Seminar, einer Präsentation teilnehmen, auch schauen, was andere machen. Das gehört alles mit dazu, und das kann man nicht planen, da muss man sich einfach dieser Reibung aussetzen. Deshalb sind solche Orte wichtig, wo die Wahrscheinlichkeit, dass Leute, die dort zusammen kommen, etwas füreinander bedeuten könnten, groß ist. Gleichzeitig denke ich, dass ein stärkeres Einbetten eines derartigen Campus in ein innerstädtisches Geflecht noch besser wäre. Wir haben auch gleichzeitig das Messegelände und oft sind dann Gesichtspunkte wie Sicherheit und Abgrenzung von Bereichen, die eigentlich kommuniziert werden möchten, schade. Wir haben zwar diese direkte Nacharschaft und dennoch Grenzlinie mit dem Messegelände, diese Linie ist aber nicht permeabel. Denn was eine Netzwerkgesellschaft will und Parametrismus anstrebt, ist die Verknüpfung und das Beziehungsgeflecht zu intensivieren, nach dem Motto alles kommuniziert mit allem.

TR: Es wurde auch eine eigene Möblierung für das Gebäude entwickelt, die von österreichischen Firmen ausgeführt wurde. War die Möblierung auch ein wesentlicher Teil des Gesamtkosmos und der Gesamtauffassung dieses Gebäudes?

PS: Für uns ist es wichtig, dass alle Subsysteme miteinander kohärent sind, sich aufeinander beziehen, dass das Eine das Andere akzentuiert, z.B. die Bodenbeläge die Semiotik unterstreichen, dass die verschiedenen Farben und Formen ordnen oder alle Kerne und vertikalen Verbindungen über den Sichtbeton kodiert sind; das dies bezieht auch stark das Möbeliar ein, das die Geometrie unterstreicht, Linien nachzeichnet und sich auf sie bezieht. Das ist für die Orientierung und Ordnung so eines Gebäudes sehr wichtig und deshalb ist es auch eine Strukturierung des Raumes. Möblierung ist gleichzeitig eine Strukurierung und Raumakzentuierung.

TR: An bestimmten signifikanten Stellen gibt es Boards oder große Desks, die von der Firma Cserni in Sonderanfertigung ausgeführt wurden und die in ihrer Lesbarkeit ein Subsystem der gesamten Architektursprache sind.

PS: Absolut. Und es ist auch wichtig, dass solche Punkte Magnete werden, Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weil dies funktionale Informations- und Anlaufspunkte sowie Orientierungsräume sind, die symbolisch überhöht und ästhetisch aufgewertet werden müssen, um zu funktionieren. Ästhetik und formale Akzentuierung sind zielführend, was die soziale Funktionalität eines solchen Gebäudes ausmacht. Für uns greifen Ästhetik und Funktionalität ineinander, denn die ästhetische Dimension ist eine Dimension der Wahrnehmung und der Attraktivität, die wir brauchen, um uns zu orientieren. Wir sind, wenn wir uns im Raum bewegen, sehr intuitiv und emotional geleitet.

TR: Ich habe die einzelnen Objekte während der Fertigung in der Produktionsstätte von Cserni gesehen und für mich waren diese Objekte eine Architektur en miniature. Ich habe an den Objekten die Sprache Zaha Hadids sofort lesen können und fand es sehr schön, dass die architektonische Absicht auch am Möbelobjekt im Rohzustand – also nicht nur eingebettet im Gebäude, sondern auch solitär stehend – wahrnehmbar ist.

PS: Das sind Synergien und Kohärenzen, sowie die Idee, dass der Innenraum eine Fortsetzung des Außenbildes ist und dass man merkt, man ist in dem Innen des Außens. Die Orientierung, wo man sich befindet und was man zu erwarten hat, ist wichtig und man synchonisiert eine Sequenz von Eindrücken in ein mentales Bild; man hat niemals das Außen und das Innen gleichzeitig, das Hinten und das Vorne, man hat auch nie das Teil und das Ganzes, sondern dies erfolgt sukzsessive. Deshalb muss es die Redundanzen und Reminiszenzen von Außen nach Innen, vom Teil auf das Ganze geben. Das ist vor allem für die intuitive Orientierung wichtig, wo man nicht nachdenken muss und merkt, ich befinde mich noch im Learning Center, ich befinde mich noch in dieser Welt. Und wenn ich an einem dieser Tische sitze, bin ich erinnert und weiß, wo ich mich befinde.

TR: Dies erinnert mich an die griechischen Mnemoniker, die in ihren Rhetoriken geistig Architekturen durchgegangen sind. Sie haben die mentalen Erlebnisse von Architekturen in ihrem Gedächtnis gespeichert und haben so Architektur noch vor der schriftlichen und fotografischen Überlieferung weitergetragen.

PS: Ich glaube auch an die Wirksamkeit von geistigen Ordnungsstrukturen, die über physische Ordnungsstrukturen vermittelt sind und vermittelt sein müssen. Man kann nicht alles im Gedächtnis rechnen und man arbeitet visuell auch mit Papier und Bleistift oder mit Tabellen und grafischen Elementen. Architekturen sind im Grunde dreidimensionale Aufbereitungen von Logiken, Organisations- und Wissensstrukturen.

DESIGN

TR: Im Büro von Zaha Hadid spielt die Beschäftigung mit Design eine wichtige Rolle. Sind die entwickelten Designs ein Mikrokosmos der Architektursprache von Zaha Hadid? Kann man das so lesen und interpretieren?

PS: Auf jeden Fall. Wir gehen durch alle Designdisziplinen. Die Stilrichtung des Parametrismus ist auf alle Designdisziplinen angelegt. Dies fängt bei Städtebau an, über Architektur, Innenraumgestaltung, Möbel-, Produkt- und Modedesign und geht hin bis zum Grafikdesign. Denn bei allen diesen Disziplinen – und das ist meine Theorie der Kernkompetenz von Design und Architektur – geht es um Kommunikationsdesign. Das sind Interfaces der Kommunikation, mit denen ich mich sozial repräsentiere, mich darstelle und kundgebe, welche Kommunikationsbereitschaft ich signalisiere. In welchen Raum ich mich begebe, an welchen Ort, in welchen Stadtteil und mit welchen Objekten ich mich umgebe, signalisiert eine Stimmung, eine Thematik und Kommunikationsbereitschaft und ein Beziehungsgefüge. Das ist meine Grundthese: Alles Design ist Kommunikationsdesign. Soziale Funktionalität als Aufgabe für Designer und Architekten muss unterschieden werden von technischer Funktionalität mit ingenieurmäßiger Bearbeitung. Mit ihnen müssen wir zusammenarbeiten, wir müssen sie integrieren, instrumentalisieren, orchestrieren. Unsere Kernkompetenz ist soziale Funktionalität und das heißt kommunikative Dichte und Intensität zu erzeugen, kommunikatives Funktionieren von gebauter Umwelt und auch der Welt der Artefakte. Wozu das Designelement? Ich muss erkennen, worum es sich handelt. Der Ingenieur steht dafür gerade, dass es physisch technisch funktioniert; wir sind dafür zuständig, dass es kognitiv, emotional und sozial funktioniert.

TR: Die Objekte von Zaha Hadid weisen eine starke Dominanz auf, auch in klassizistischen italienischen Renaissance-Räumen. Die kommunikative Qualität ist so präsent, dass sie auch in historischen Räumen ein Zentrum bilden.

PS: Das ist richtig, aber die Konfigurationen, die hier entwickelt werden, sind eben unklassisch, z.B. ein Sofa, in dem man in verschiedene Richtungen sitzt, ein Sofa, das nicht an die Wand geschoben wird, sondern frei spielt und mit anderen Elementen flexibel Konstellationen entwickelt. Das sind die kommunikativen Situationen, die entstehen, Konstellationen mit den Räumen und Stimmungen.

TR: Dies funktioniert aber auch ohne Benützbarkeit, z.B. bei Ausstellungsobjekten.

PS: Wenn man das Objekt nur anstarrt, ist dies noch keine Funktionalität. Man kann sich die Funktion zwar vorstellen und mental bespielen, aber man muss jedoch klar unterscheiden zwischen Kunst und Design. Design ist das Eingreifen in reale Lebenszusammenhänge im alltäglichen Kontext, auch wenn es ausdifferenzierte, verschiedene Alltäge gibt. Kunst jedoch beinhaltet das Moment der Kontemplation, des Sich-Distanzierens von seinem Alltag und die Möglichkeit, einen anderen Alltag zu imaginieren. Design hingegen ist das Eingreifen in und das Bewirken von Situationen, manchmal vielleicht auch innovativ stimulierend. Aber es sind keine Thesen, sondern Hebel.

TR: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das ausführliche Interview.

Zitate neben dem Interview:

Die vom Bauhaus inspirierte Architektur war im Grunde an industrielle Fertigungsmethoden gebunden und notgedrungen repetitiv, um kosteneffizient sein zu können. Hadids Architekturkonzept hingegen, geboren aus einer rigorosen Logik und einem Deisgnverständnis, das die euklidischen Grenzen sprengt, wurde erst durch eine neuerliche industrielle Revolution möglich, die von digitalen Entwurfs- und Fertigungsmethoden vorangetrieben wurde. Jetzt können Schreibtische aus Wänden hervorspringen und Bücken in sinusförmigen Wellen zu tanzen beginnen. Zaha Hadid hat die Architektur entfesselt – und nichts wird sein wie zuvor.
Philip Jodidio, aus Die raumerneuernde Explosion, Hadid. Complete Works 1979-2013, Taschen Verlag 2013

Wir haben uns von der Vorstellung gelöst, monumentale Objekte zu schaffen, und begonnen, uns mit der Topografie und dem Boden zu befassen. Wir haben uns mit den zahlreichen Schichten des öffentlichen Raums auseinandergesetzt und damit, wie sich Oberirdisches und Unterirdisches interpretieren lassen könnte. Danach war der naheliegendste Schritt, sich mit [...] der Natur zu befassen.
Zaha Hadid


Architekturen sind im Grunde dreidimensionale Aufbereitungen von Logiken, Organisations- und Wissensstrukturen.
Patrik Schumacher

 

 

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